AM ANFANG WAR ALLES GANZ EINFACH

Am Anfang war alles ganz einfach. Lust, draussen zu spielen, in der Sonne, zu jeder Jahreszeit. Die üblichen Räume verlassen. Meine Kunst überall oder nirgends hin mitnehmen. Dahin, wo man sie nicht oder kaum erwartet. Eine Lust – aber auch ein persönlicheres Bedürfnis: wieder mit meinen Wurzeln, der Erde, der Landwirtschaft, der Schweiz anzuknüpfen, die „Schweizheit“ zu hinterfragen. Dann wurde alles komplizierter. Ein Abdruck musste bleiben. Dokumentieren, sagt man in der Welt der zeitgenössischen Kunst. Kurz, einen Abdruck von guter Qualität hinterlassen. Einen Abdruck, besser als Youtube-Niveau und als eine Stereoaufnahme auf einer MiniDisc. Auch wenn das vielleicht durchaus gereicht hätte. Wer kauft heutzutage schon eine CD oder ein DVD, wenn ganze Generationen von Konsumenten keinen Rappen mehr aufwerfen für echte Platten oder Urheberrechte. Ein Copyright zu verteidigen, das können nur jene, die die Mittel dazu haben: die Multinationalen. Ich habe alles umgekehrt gemacht. Ich hatte ein künstlerisches Bedürfnis – den Drang – also habe ich sehr schnell ein Dossier zusammen gestellt: eine Vollzeitarbeit im ersten Monat (Auch nach 20 Jahren Erfahrung braucht Brötchen backen und verkaufen seine Zeit!), habe Zahlen geschichtet, die plausibel schienen, meine Weihnachtsferien mit dem Analysieren der Internetseite Swissfondations verbracht, alle nötigen Dokumente fotokopiert und die ersten Anfragen für finanzielle Unterstützung am 31. Dezember vor 17h00 verschickt. Uff. Aber das war nur der Anfang. Wichtige Fragen waren unbeantwortet geblieben, ich hatte nicht einmal Zeit gehabt, sie mir zu stellen: an wen richtet sich dieses Projekt? Danke für die Frage. Worum geht es? Eine kleine Schweizertour zu machen um zu sehen, wie die Hinterwäldler auf Improvisationsmusik reagieren? Den Zusammenstoss zu suchen oder durch A plus B zu beweisen, dass die Schweiz wirklich schön ist und ihre Einwohner auch, dass sie wirklich bereit sind, abstruse Erfahrungen zu machen und dass sie immer noch zusammen leben können und wollen und mir nicht einen Prozess anhängen, weil sie auf einem Film erscheinen, ohne vorher ihr vertragliches Einverständnis gegeben zu haben. Warum machst du das? Hmm, ich weiss nicht... Für mich vielleicht... Zweifel: Aber ist das denn interessant für andere? Für wen? Wie möglichst viele Leute dafür interessieren? Ein kleiner Kurs für einen Filmproduzent-Lehrling wie mich: Worauf willst Du mehr Gewicht legen, auf den Ton oder auf das Bild? Muss ich mich da entscheiden? Wenn du das Gewicht auf den Ton legst, musst du 8 Tonspuren aufnehmen, um genug Material zum Mixen zu haben, das bedeutet Mikrofone, die man sieht. Wenn dir das Bild wichtiger ist, muss mit einer Mikrofonangel gearbeitet werden und damit kriegst du keinen Top-Ton. Willst du eine Fixcamera oder eine 360°? Was ist 360°? Naja, der Film über Afrika von Depardon, zum Beispiel... Wie auch immer, wenn du draussen aufnimmst und es windet, dann hörst du nichts anderes mehr auf den Aufnahmen, sogar mit dem besten Rycote (Mikrofon-Windschutz), der 30cm lang ist und 900 Euros kostet. Das „einfache“ Projekt – mit Musikern im Duo an Orten zu spielen, die sie ausgewählt hatten – war von Frage zu Frage zu einer Nicht-Hollywood-Megaproduktion geworden, in der ich alle oder fast alle Rollen spielte. Autorin, Komponistin, Regisseurin, Administratorin, Produzentin, Koordinatorin, ... Dieses „einfache“ Projekt wurde immer komplizierter. „Ständig nah am Abgrund“ hat einmal ein Journalist geschrieben, andere schrieben „Schlagzeugerin der Masslosigkeit“ „tausend Schläge pro Minute“ „drei Leben in einem“. Valerie und andere Freunde sagen mir: Denk daran, du bist Schlagzeugerin und deine Erfahrungen als Tänzerin, Künstlerin, Pseudo-Schauspielerin, Schriftstellerin sind zwar interessant, aber nicht mit dem zu vergleichen, was du auf einem Schlagzeug machst. Ich höre ihnen zu. Ja, sie haben vielleicht recht. Aber ich hasse es, mich zu langweilen.